Atmosphäre zum Leben

Sie arbeitet von morgens bis abends, und selbst in der Nacht macht das Kraftwerk Lunge unermüdlich Dienst. 12 – 15 Mal in der Minute, etwa 25.000 Mal in 24 Stunden, atmen wir täglich ca. 20.000 Liter Luft ein und wieder aus, ganz automatisch und völlig selbstständig.

Wunder Luft

Mit dem Lebenselixier Luft können wir riechen, schmecken, fühlen und hören. Sie gibt dem Himmel die Farbe und bringt das Feuer zum Brennen. Seit unserem 1. Atemzug bei unserer Geburt pumpen wir Luft in unsere Lungen, versorgen unsere Organe mit Sauerstoff und erhalten uns so am Leben. In ungefähr 600 Millionen winziger Luftsäckchen, den sogenannten Lungenbläschen, findet der Austausch von Sauerstoff (O2) und Kohlendioxid (CO2) statt. Ohne Sauerstoff geht gar nichts. Jede noch so kleine Zelle, jedes Kohlenhydrat-, Eiweiß- und Fettmolekül, das am Stoffwechsel beteiligt ist, ist auf den Sauerstoff angewiesen. Ohne ihn würde alles Leben auf unserem Planeten aufhören. Er ist das Grundelement unserer Atmosphäre.

Sauerstoff näher betrachtet

Entdeckt wurde der Sauerstoff im Jahr 1771 von Karl Wilhelm Scheele, einem schwedischen Apotheker und Chemiker. Weil er annahm, dass dieses farb- und geruchlose Gas in allen Säuren enthalten ist, nannte er es Sauerstoff (Oxygenium). Man spricht auch von Oxidation. Rost ist etwa die Folge des Einflusses von Sauerstoff auf Eisen. Tatsache ist, dass Sauerstoff nicht nur in unserer Atmosphäre (ca. 21 %), sondern in gebundener Form auch in Steinen, Lehm, Kies und Sand vorhanden ist – ja, die Gebirge bestehen zum großen Teil aus Sauerstoff. Das Wasser in den Ozeanen, Seen und Flüssen, im Eis der Gletscher, in der Arktis und der Antarktis besteht zu 90 % aus Sauerstoff. Der Mensch hat ungefähr 2,5 Liter Sauerstoff im Blut, in den Lungen und im Körpergewebe – genug, um damit annähernd 4 Minuten auskommen zu können. Unser Körper kann wochenlang ohne Nahrung sein, einige Tage ohne Wasser, aber wenn der Nachschub dieses lebenserhaltenden Gases länger als ein paar Minuten unterbrochen wird, kommt es zur Katastrophe. Gehirn, Herz – einfach alles hört zu arbeiten auf. Denn jede Tätigkeit, die wir ausüben, erfordert Energie. Unser Körper erzeugt diese Kraft, indem er den «Treibstoff» in den lebenden Zellen mit Hilfe von Sauerstoff verbrennt. Dieser Treibstoff stammt aus der sonnengereiften Nahrung – unseren Lebensmitteln, die wir zu uns nehmen. Das bedeutet: Ohne Sauerstoff gibt es keine Energie in den Zellen, also auch keine Lebenskraft. Da jeder von uns täglich 24 Stunden fleißig atmet, fragt sich vielleicht mancher, wann unserer Welt der Sauerstoff ausgehen wird.

Großzügigste Vorsorge getroffen

Die grünen Anteile der Pflanzen sowie Algen und Plankton bilden aus Kohlenstoffdioxid (CO2), Wasser und Licht Kohlenhydrate (unseren Treibstoff) und geben dabei Sauerstoff ab. Sauerstoff, den wir einatmen, atmen wir zum Teil als Kohlendioxid wieder aus, und die Pflanzen verwandeln dieses wieder in Sauerstoff. Was hier so einfach beschrieben wird, ist in Wirklichkeit ein sehr komplizierter biochemischer Vorgang – die Photosynthese. So wird auf wunderbare Art und Weise dafür gesorgt, dass uns die Luft nicht ausgeht. Übrigens, es gibt in der Galaxie keinen zweiten Planeten wie unsere Erde. Nur sie ist von einem einzigartigen Luftmeer umgeben. Diese besondere Lufthülle besteht aus einem nahezu gleichmäßigen Gasgemisch. Insofern ist Luft nichts Reines (wie Aristoteles dachte), sondern stets eine Mischung. Staubfreie Luft in Meereshöhe besteht zu mehr als 78 % aus Stickstoff, zu rund 21 % aus dem schon beschriebenen Sauerstoff sowie einem Anteil von knapp 1 % Edelgasen. Das sind sogenannte Spurengase – allen voran Argon, aber auch Helium, Neon, Krypton, Xenon sowie das radioaktive Radon und das (in den unteren Bereichen der Erdatmosphäre schädliche) Ozon. Was das Spurengas Argon betrifft, haben Astronomen der Universität Harvard berechnet, dass wir – eine gleichmäßige Verteilung der ausgeatmeten Luft über der Erde vorausgesetzt – nach einem Jahr in einem Atemzug etwa 15 Moleküle des Edelgases Argon wiederfinden, die wir ein Jahr zuvor ausgeatmet haben. Das bedeutet: Über dieses System atmen wir heute auch Argon-Moleküle ein, die einst William Shakespeare oder Napoleon eingeatmet hat. Wer hätte das gedacht – die Atmosphäre verbindet auch alle Lebewesen miteinander.

Der geringe Anteil von nur 0,03 % an Kohlendioxid in unserer Atmosphäre sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieses Gas (mit anderen Molekülen) die Solarenergie des Sonnenlichtes (Wärmestrahlung und Ultraviolett-Strahlung) und damit das Klima der Erde wesentlich beeinflusst. Bestimmte Anteile des ultravioletten Lichtes sind einerseits für die Bildung von Vitamin D in unserem Körper verantwortlich, andererseits

entsteht durch die Wärmeeinstrahlung der Sonne auf unsere Erde unter anderem Wasserdampf. Der Wind trägt den Wasserdampf um die ganze Erde, und der Wasserkreislauf sorgt dafür, dass die gewaltige Menge unserer Atmosphäre im Laufe eines Jahres bis zu 36 Mal ausgetauscht und erneuert wird. Es ist einfach großartig, wie hier permanent dafür gesorgt wird, dass es für Mensch und Tier stets reine, frische und klare Luft für ein gesundes Leben gibt.

Sorge tragen für diese kostbare Atmosphäre

Allerdings steigt der Kohlendioxid-Gehalt durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe ständig an, was zum bekannten Treibhauseffekt mit seinen verheerenden Folgen führt. Leider ist die Menschheit dabei, die Regenerierbarkeit der Atmosphäre empfindlich zu stören und die gute Luft als Abfalleimer zu verwenden. Ungeachtet der vielen Schadstoffe enthält die Atmosphäre aber auch natürliche Anteile an Staubteilchen sowie Aerosole. Ohne die Wirksamkeit dieser Spurengase, die zum «natürlichen» Treibhauseffekt und damit zur Erwärmung der Atmosphäre beitragen, wäre es in Bodennähe um 33°C kälter! Das heißt, wenn wir +20°C hätten, wäre es ohne diesen Effekt -13°C kalt! Wir sind uns im Allgemeinen viel zu wenig bewusst, wie sehr wir auf reine Luft mit ihrem wertvollen Anteil an Sauerstoff angewiesen sind. Und wir alle sind dafür verantwortlich, was mit unserer Luft geschieht, und müssen jede Gelegenheit nützen, um dieses kostbare Gut möglichst rein zu halten.

Frische Luft und Gesundheit

Weil frische Luft so wichtig für die Gesundheit ist, sollten wir versuchen, so oft wie möglich unverbrauchte, saubere Luft einzuatmen. «Den Kranken bringt mit gutem Grund man dorthin, wo die Luft gesund», reimte einst Eugen Roth.

Die Haut benötigt unbedingt genügend Sauerstoff für ihre tägliche Regeneration und die Aufnahme von Nährstoffen. Abgestorbene Hautschüppchen werden durch neu gebildete Zellen ersetzt, die ohne ausreichende Sauerstoffzufuhr nicht in der Lage wären, sich zu ernähren. Wahrscheinlich kennen Sie auch das Gefühl der Schlappheit, wenn Sie sich längere Zeit in einem schlecht gelüfteten Raum aufgehalten haben. Aber kaum gehen Sie ins Freie und atmen ein paar Mal tief durch, fühlen Sie sich wieder wach und frisch. Knapp 21 % Sauerstoff enthält unsere Luft vor dem Einatmen, aber in der von uns ausgeatmeten Luft sind immer noch 16 % enthalten. Die Differenz von rund 5 % atmen wir als Kohlendioxid wieder aus. Ist zu viel CO2 in der Raumluft, drohen Konzentrationsschwäche und Atemnot. Sauerstoffmangel und CO2–Überschuss beeinträchtigen am meisten die Gehirnzentren für Vernunft, Willenskraft, Urteilsvermögen und Gefühle. Auch wenn unser Gehirn nur etwa 2 % des Körpergewichts ausmacht, verbraucht es im Durchschnitt 20 % des eingeatmeten Sauerstoffes. Wenn also der Kopf raucht oder die Stimmung schwankt – Fenster auf, frische Luft herein! Oder noch besser: Hinaus an die frische Luft! Ein kleiner Spaziergang, tief durchatmen, und der Kopf wird wieder klar. Unser Unwohlsein in schlecht gelüfteten Räumen liegt nicht nur am mangelnden Sauerstoff, wie viele meinen, sondern auch an einem Überschuss an CO2.

In Bürogebäuden mit zentral geregelter mechanischer Belüftung ohne die Möglichkeit, die Fenster zu öffnen, kann das sogenannte Sick-Buildung- Syndrom entstehen. Damit sind medizinisch die zahlreichen Beschwerden und Symptome gemeint, die sich durch vermehrtes Auftreten von Allergien, erhöhte Infektanfälligkeit und durch eine Verschlechterung von Asthma zeigen können. Mitverantwortlich dafür sind Verunreinigungen aus der Lunge und aus den Hautporen, die ständig von der Luft aufgenommen werden. Im Hinblick darauf kann es offensichtlich nicht gesund sein, dieselbe Luft immer wieder einzuatmen.

Das alles unterstreicht die Wichtigkeit, frische und saubere Luft zu atmen. Wo es möglich ist, sollten die Räume jeden Tag gründlich gelüftet werden. Dies gilt ganz besonders für das Schlafzimmer. Früher einmal hat man Nachtluft für gefährlich gehalten. Heute wissen wir es besser. Lassen Sie die Fenster in Ihrem Schlafzimmer im Sommer wie im Winter (natürlich nicht bei klirrendem Frost) offen. Sie werden am Morgen erfrischt aufwachen und besser in der Lage sein, die Aufgaben des Tages anzupacken.

Von Lust, Sorgen und richtigem Atmen

Jeder von uns kennt auch die Momente, in denen man aus seinem seelischen Gleichgewicht gerät – wenn einem sprichwörtlich die Luft wegbleibt oder der Atem stockt. Es gibt Situationen, wo man seiner Wut Luft machen muss. Wo, um wieder Eugen Roth zu zitieren, «es schwer ist, mitunter Luft zu kriegen, in der nicht schon Gedanken liegen». Ein Spaziergang in der frischen Luft kann Sorgen zwar nicht in Luft auflösen, aber lindern. Die Seele kann etwas aufatmen und neue Kraft tanken, denn natürlicher Sauerstoff ist das beste Nervenberuhigungsmittel! Die meisten von uns sind allerdings weit davon entfernt, die natürliche Leistungsfähigkeit ihrer Lunge auch nur annähernd auszunutzen. Wir atmen in der Regel zu flach, indem wir, hauptsächlich durch die Brustatmung, nur den oberen Teil unserer Lungenflügel benutzen. Schlechte Körperhaltung, ein gebeugter Gang oder eine schlaffe Haltung beim Sitzen machen es fast unmöglich, tief durchzuatmen. Flaches Atmen ist nicht nur für die Lunge von Nachteil, sondern auch für Magen, Leber und, wie bereits beschrieben, für das Gehirn. Wie wäre es deshalb, wenn Sie gleich jetzt einmal den Versuch unternähmen, auch den kleinsten Rest Luft aus dem verstecktesten Winkel Ihrer Lunge herauszupressen? Und jetzt atmen Sie durch Brust- und Bauchatmung so viel Luft ein, wie Ihre Lunge fassen kann. Ganz tief – noch ein bisschen mehr – sehr gut! Machen Sie es sich zur guten Gewohnheit, mehrmals am Tag tief durch die Nase (sie reinigt, befeuchtet und erwärmt die Luft) durchzuatmen. Frische, reine, klare Luft wirkt belebend, ausgleichend, beruhigend, regt den Appetit an und fördert am Abend die Einschlafbereitschaft. Ja, unsere gute Luft ist mehr als nur ein Sauerstoffprodukt. Sie ist die Atmosphäre des Lebens. Nützen, schützen und genießen wir sie!

Albert Gruber

Akad. Lehrer für Gesundheitsberufe

Leben & Gesundheit Ausgabe 6/2014