Von (unnötigen) Sorgen befreit leben

Wäre das nicht schön, ein sorgenfreies Leben zu haben? Wäre das nicht wunderbar, auszusteigen und irgendwo in der Südsee in den Tag hineinzuleben? Wäre das nicht toll, einen Sechser im Lotto zu gewinnen und alle Geldsorgen zu vergessen? Wäre das nicht ein Traum, ohne Verantwortung und Pflichten das eigene Dasein zu fristen?

Es gibt ja so vieles, was uns Sorgen bereitet:

  • Die eigene Gesundheit, die der Kinder, die des Partners …
  • Sorgen übers Älterwerden …
  • Ob der Partner bis ans Lebensende bei uns bleibt.
  • Ob die Kinder auf die schiefe Bahn geraten.
  • Ob wir morgen noch einen Job haben.
  • Ob die Altersvorsorge noch eine Rente zahlt, wenn wir in Pension gehen.
  • Die Sicherheit im eigenen Land: Gewalt und Terrorismus breiten sich zunehmend aus und machen nicht vor Meeren oder Landesgrenzen Halt.
  • Die Flüchtlingskrise.
  • Verseuchtes und ungesundes Essen.
  • Die Klimaerwärmung und die Umweltverschmutzung könnten unseren Planeten in die Knie zwingen …

Sorgen – einerseits erhalten sie uns am Leben, andererseits leiden wir oft unter ihnen. Wie sieht ein «gesunder», befreiender Umgang mit Sorgen aus? Warum machen wir Menschen uns überhaupt Sorgen? Indem wir uns Sorgen machen, versuchen wir, mit der Ungewissheit der Zukunft klarzukommen. Indem wir uns Sorgen machen, versuchen wir, damit umzugehen, dass wir in einer Welt leben, die wir nicht zu 100 % kontrollieren können.

Wenn wir aber aus dem Grübeln nicht mehr herauskommen und plötzlich eine Sorge die andere jagt, dann wird das Ganze ungesund. Sich übermäßig Sorgen zu machen, raubt einerseits Kraft und kann zu Ruhelosigkeit, Anspannung, Schlaf- und Konzentrationsstörungen und körperlichen Problemen wie Kopf- und Magenschmerzen führen. Falls dieses übermäßige «Sich sorgen» mehrere Monate anhält, spricht man von einer Angststörung. Jeder 20. Ist im Verlauf seines Lebens davon betroffen. Andererseits kann es aber auch nicht darum gehen, völlig sorglos und planlos in den Tag hineinzuleben und jeglicher Verantwortung aus dem Weg zu gehen.

Im Folgenden wollen wir uns einige Gedanken darüber machen, warum wir uns nicht unnötig und über die falschen Dinge Sorgen machen sollen:

Sich Sorgen machen bringt meistens nicht viel

Wir können uns noch so intensiv mit Krankheiten, Unfallverhütung und gesundem Lebensstil beschäftigen … deswegen wissen wir trotzdem nicht, wann und wie wir sterben werden. Wir können uns noch so viele Sorgen machen, wir werden dadurch unser Leben nicht um eine Haaresbreite verlängern. Es bringt nichts.

Studien deuten darauf hin, dass 85 % der Dinge, über die sich Menschen Sorgen machen, schließlich nicht eintreffen (Internet: The Blog, Don J. Goewey). Bei den restlichen 15 % verhält es sich so, dass 80 % der Probanden mit der gefürchteten Situation besser als erwartet umgehen und aus den befürchteten Herausforderungen sogar noch etwas lernen können. Mit anderen Worten: In 97 % der Fälle (85 % + 4/5 von 15 % = 85 % + 12 % = 97 %) sind unsere Sorgen eine Mischung aus Fehleinschätzungen, Übertreibungen und Verallgemeinerungen.

Steven Covey (7 Wege zur Effektivität) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen unserem Sorgenkreis und unserem Einflusskreis.

Wir machen uns über viele Dinge Sorgen, die wir gar nicht beeinflussen können: Das Wetter, die Reaktion anderer Menschen, das Auf und Ab der Börse, wie sich der Goldkurs entwickelt … All diese Dinge liegen jenseits unserer Macht. Warum sich darüber Sorgen machen?

Die Dinge innerhalb unseres Einflusskreises hingegen haben wir sehr wohl in der Hand, wir können sie gestalten und verändern: Unseren Tagesrhythmus, was wir essen oder vermeiden, wie viel wir uns bewegen, unser Spar- und Ausgabeverhalten, wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen …

Meistens ist unser Sorgenkreis größer als unser Einflusskreis. Wo die Kluft zu groß wird, wo ein erheblicher Teil unserer Sorgen jenseits unserer Einflussmöglichkeiten liegt, entsteht viel Stress und viel Leid. Deswegen geht es darum, unseren Sorgenkreis zu verringern und den Einflusskreis zu vergrößern. Das bedeutet, sich dessen bewusst zu werden, dass wir meistens mehr Handlungsoptionen haben, als wir meinen.

Worauf richte ich meine Aufmerksamkeit: Auf die Dinge, die außerhalb meiner Macht liegen, oder auf jene, die ich beeinflussen kann? Hierzu erinnere ich mich an ein Gebet, das Reinhold Niebuhr, einem US-amerikanischen Theologen, zugeschrieben wird: «Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.»

Alltägliches soll nicht «Ewiges» verdrängen

Wir sind oft so mit Alltäglichem und Materiellem beschäftigt, ob es den nackten Überlebenskampf betrifft oder das Träumen vom Wohlstand, dass wir das aus den Augen verlieren, was wirklich zählt.

Bei vielen Menschen sind gut und üppig essen, Unterhaltung und Freizeit sowie sich gut und modebewusst kleiden zum Lebensinhalt geworden. Genuss und Status – das kann uns Menschen ganz schön in den Bann ziehen. Sie haben die Macht, die Leere in unseren Herzen und in unserem Leben zu überspielen und für kurze Zeit zu stillen. Aber Genuss, Wohlstand und Status machen nicht auf Dauer «satt». Das Leben ist mehr als Essen und Trinken, der Leib ist mehr als Kleidung. Wahre Schönheit und wahre Unbekümmertheit sind Geschenke Gottes. Das rufen uns die Spatzen und die Lilien zu. Wahre Schönheit kommt von innen!

Wahrscheinlich ist es das, was Abraham Lincoln sagen wollte: «Ich mag sein Gesicht nicht», meinte er, nachdem er sich mit einem Mann unterhalten hatte. «Der arme Mann», erwiderte ihm ein anderer. «Ein Mensch kann doch nichts für sein Gesicht.» «Jeder ist für sein Gesicht verantwortlich, sobald er die Vierzig überschritten hat», entgegnete der amerikanische Präsident.

Unsere Ausstrahlung, unsere Zufriedenheit, unser innerer Friede sind Ausdruck unserer

Werte und unserer Lebensziele. Lassen Sie nicht zu, dass die Sorgen um das Alltägliche diese wichtigen Themen und Fragestellungen ersticken!

Was hat Ewigkeitswert? Was bleibt, wenn wir die Bühne dieser Welt einmal verlassen müssen? «Das letzte Hemd hat keine Taschen» – heißt es im Volksmund. Nichts von dem, was wir uns hier hart erarbeitet haben, können wir aus dieser Welt mitnehmen.

Bei uns im Flur hängt ein Poster. Darauf ist ein kleiner Junge zu sehen, der auf einer Düne steht und mit dem Rücken zum Betrachter auf das Meer hinausschaut. Darunter stehen die Worte: «In 100 Jahren wird niemand danach fragen, was für ein Haus ich bewohnt oder Auto ich gefahren habe oder wie hoch der Saldo meiner Bankkonten war. Aber die Welt wird in 100 Jahren dadurch ein besserer Ort sein, dass ich im Leben eines Kindes wichtig war. » Was wirklich bleibt, sind Beziehungen. Die Beziehung zu unserem Partner, zu unseren Kindern, zu unserer Herkunftsfamilie, zu unseren Mitmenschen. Und für all jene, die an einen persönlichen Gott glauben, auch die Beziehung zu ihm.

Die Frage bleibt: Wie werden wir unnötige Sorgen los?

Unser Leben in der Gegenwart gestalten

Man kann in der Vergangenheit oder in der Zukunft leben, und das machen viele Menschen. Auch Ihnen und mir kann dies widerfahren. Man kann in der Vergangenheit schwelgen, sich an vergangene Dinge, die man verloren hat, klammern oder sich verbittert an erlittenem Unrecht festkrallen.

Man kann auch in der Zukunft leben und von Dingen träumen, die man sich wünscht, oder sich von Sorgen aufzehren und lähmen lassen. Wirklich unser Leben gestalten können wir nur in der Gegenwart. Es sind die Entscheidungen und Taten, die unser Leben verändern. Eines der mächtigsten Werkzeuge im Umgang mit Sorgen – und das klingt jetzt vielleicht etwas banal – ist das Handeln. Wer immer nur grübelt und nichts tut, lässt die Sorge immer umfangreicher und unheimlicher werden. Die gefühlte Ohnmacht wird immer größer. Wer jedoch handelt, wenn auch nur in kleinen Schritten, gewinnt immer mehr die Kontrolle über das eigene Leben.

Wichtiges an die erste Stelle setzen

Werden Sie sich bewusst, was die wichtigsten Dinge und wer die wichtigsten Menschen in Ihrem Leben sind! Planen Sie dafür in Ihrem Alltag feste Zeiten ein! Lassen Sie sich dabei vom Bild der mit Steinen, Kieselsteinen, Sand und Wasser zu füllenden Gläser leiten. Die größten Steine symbolisieren das, was absoluten Vorrang in unserem Leben hat. Wer zuerst das Wichtigste in den Alltag hineinpackt, hat noch Zeit und Kraft für Zweit- und Drittrangiges. Wer sich zuerst mit Nebensächlichem abgibt, wird keinen Platz mehr für das Wesentliche finden.

Stellen Sie sich das Schlimmste vor, das in einer bestimmten Lebenslage passieren kann

Manchmal hilft es, wenn wir unsere Sorgen bis ins Extreme und Skurrile «aufblasen». Oft fallen sie dabei in sich zusammen und ringen uns ein Lächeln ab. Was ist das Schlimmste, das geschehen kann, wenn ich heute – verkehrsbedingt – 10 Minuten zu spät zur Sitzung komme? Die fristlose Kündigung? Nein, sicherlich nicht! Wenn wir uns das Schlimmste vorstellen und diesen Gedanken zulassen, gehen wir entspannter in schwierige Situationen hinein.

Gewinnen Sie Abstand zu Ihren Sorgen im Gespräch mit einer Vertrauensperson

Manchmal kreisen unsere Sorgen in und über unserem Kopf wie Geier. Dieselben Gedanken und Befürchtungen zwingen sich uns immer wieder auf. Da hilft das Gespräch mit einem guten Freund, dem Ehepartner oder einer Fachperson. Sorgen auszusprechen, auf den Tisch zu legen und sie mit innerem Abstand zu betrachten, kann uns helfen, die Gedanken neu zu ordnen und Prioritäten zu setzen. Wir können unmöglich alle Baustellen in unserem Leben gleichzeitig bearbeiten.

Zum Schluss noch ein Gedanke: Vergessen Sie das Feiern nicht! Der Mensch wurde nicht dazu geschaffen, ein Leben lang nur Sorgen vor sich herzuschieben. Er soll auch auf Gelungenes und Schönes zurückschauen und feiern können.

Christian Frei

Erwachsenenbildner und Lebensberater

Leben & Gesundheit Ausgabe 4/2019